„Brüche im Leben verstehen – methodische und erziehungswissenschaftliche Herausforderungen.“
Brüche- oder Umbrüche im Leben und Kontext von Menschen in ihrer Bedeutung für sie und ihr Umfeld zu verstehen, das schafft die Basis für pädagogisches Nachdenken und Handeln, aber es fordert auch die Forschung heraus. Insbesondere dort, wo die Selbst- und Weltbilder der Anderen exotisch oder schwer verständlich erscheinen, stehen Forschende und Akteure im pädagogischen Feld vor einer schwierigen Aufgabe.
Am Beispiel zweier gegenwärtig stark polarisierender Jugendbewegungen – der Klimaschutzbewegung Letzte oder neue Generation und rechtspopulistisch orientierter Jugendmilieus – soll exemplarisch dem Erleben, dem Fordern und dem Erzeugen von Brüchen junger Menschen nachgegangen werden. Während die einen den Bruch des Pariser Klimaabkommens skandalisieren, fordern die anderen einen Bruch mit der bisherigen Migrationspolitik. Was auf den ersten Blick als Gegensatz erscheint, könnte in dem Ringen um Selbstverortung in einer offenbar als brüchig erfahrenen Welt eine gemeinsame Struktur enthalten. Klimakrise, Naturzerstörung, Wohlstandsverlust, Krieg und Migration lassen scheinbare Sicherheiten brüchig werden. Wie erlebt und verarbeitet insbesondere die jüngere Generation das, was sie als Bruch bisheriger Sicherheits- und Zukunftsversprechen deutet?
Ausgangspunkt dieses Vortrags ist die Frage, wie man sich diesen Entwicklungen und Perspektiven forschend annähern kann. Exemplarisch lässt sich daran beleuchten, in wie vielen Hinsichten das Verstehen herausgefordert wird und wo die verstehenden Deutungen an ihre Grenzen geraten. Ziel des Vortrags ist es, die methodischen und theoretischen Herausforderungen einer qualitativ-ethnographischen Annäherung an solche Deutungsräume und Phänomene zu beleuchten. Wie lassen sich Selbst- und Weltbilder aus öffentlich zugänglichen Dokumenten rekonstruieren und welche Rolle spielt der forschende Blick selbst – insbesondere dann, wenn er mit Unverständlichem oder Provokativem konfrontiert ist? Dabei gilt es, im Sinne einer reflexiven Erziehungswissenschaft im Anschluss an Pierre Bourdieu, auch den eigenen Standort kritisch mitzureflektieren. Die Analyse wird verknüpft mit theoretischen Perspektiven der Übergangs-, Jugend- und Geschlechterforschung. Brüche im Leben zu verstehen und zu begleiten, das wird im Beitrag sowohl als methodische wie auch erziehungswissenschaftliche Herausforderung diskutiert.
Prof. Dr. Barbara Friebertshäuser
Goethe-Universität Frankfurt