Un_Gebrochenes Erleben – Denken an der Grenze über Körper, Gender und Dis/Ability für die Erziehungswissenschaft
Wie lässt sich Bildung denken, wenn verkörperte Erfahrungen, chronische Erkrankung und Geschlecht nicht am Rand, sondern im Zentrum epistemischer Auseinandersetzungen stehen?
Der Vortrag entwickelt eine konzeptionelle Perspektive auf Dis/Ability, Gender und Körperlichkeit als gesellschaftlich situierte, relationale und umkämpfte Verhältnisse. Ausgangspunkt ist der heuristische Begriff des Un_Gebrochenen Erlebens, mit dem Erfahrungen von Brüchen, Ambivalenzen und Irritationen nicht als Defizite oder zu überwindende Zustände, sondern als konstitutive Dimensionen subjektiven Erlebens in machtvermittelten, gesellschaftlichen Verhältnissen verstanden werden.
Ausgehend von Ansätzen der erziehungswissenschaftlichen Differenz- und Genderforschung sowie der Disability Studies wird untersucht, wie insbesondere chronische, äußerlich unsichtbare Erkrankungen binäre Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit herausfordern und zugleich mit normativen Erwartungen an vergeschlechtlichte Körper verwoben sind. Dabei geraten sowohl ableistische als auch sexistische Wissensbestände im Diskurs über chronische Erkrankung und deren vergeschlechtlichte Codierung in den Blick. Ebenso werden Anpassungsleistungen und Strategien der Un-/Sichtbarmachung aus gender- und disability-informierter Perspektive analysiert – etwa körperbezogene Selbstpraktiken, die als ‚Antworten‘ auf normative Anforderungen an Zeit, Leistung und Körperlichkeit gelesen werden können. Der Vortrag lotet darüber hinaus Formen von Handlungsfähigkeit und Widerständigkeit in einem Leben mit Brüchen aus und fragt nach den produktiven Momenten von Ambivalenz.
Der Vortrag diskutiert abschließend, wie theorie- und erfahrungsbasiertes Wissen in einen kritisch-theoretisierenden Horizont beim Nachdenken über Geschlecht, Körper und Dis/Ability eingebunden und für eine differenzreflexive Erziehungswissenschaft fruchtbar gemacht werden können.
Dr. Veronika Kourabas
Hochschule Niederrhein