Digitale Bildung: Zwischen Cyberlibertarismus und radikaler Demokratie

Aktuelle und historische Diskurse über Technologie als radikalen und revolutionären Bruch mit der Vergangenheit sind mit der Idee verbunden, dass technischer Fortschritt die Zukunft der Bildung verändert. Aber welche normativen Vorstellungen von Zukunft werden dabei entwickelt, und was bedeutet das für die erziehungswissenschaftliche Forschung zu digitaler Bildung? Dieser Vortrag geht drei vermeintlichen Brüchen mit ihren jeweiligen Zukunftsvorstellungen nach. Der erste wird in der EdTech-Industrie als Bruch beschrieben und betrifft die Modernisierung von Bildungsprozessen, -institutionen und -organisationen durch den Einsatz passender Technologien. Studien untersuchen dabei u.a. die Optimierung von Lernergebnissen, die Unterstützung von Schulentwicklungsprozessen oder die Inklusion von Schüler*innen mit besonderen Bedürfnissen. In diesem Vortrag wird diese Perspektive („Bruch I“) jedoch kritisch betrachtet und dabei zwei weitere Momente an der Schnittstelle von digitaler Kultur und Schule hervorgehoben. Ein zweiter Bruch („Bruch II“) wird derzeit vielfach diagnostiziert, weil cyberlibertäre (antidemokratische, neorechte und eugenische) Zukunftsvorstellungen das Feld der Technologieentwicklung prägen. Obwohl dies oft als Bruch mit dem demokratischen, egalitären Anspruch von vernetzten Technologien beschrieben wird, wird im Vortrag die These eruiert, dass cyberlibertäre Tendenzen eher eine Kontinuität als einen Bruch mit der Vergangenheit markieren. Ein dritter Bruch wird in radikaldemokratischen Versuchen sichtbar, soziotechnische Praktiken zu fördern, die alternative Zukünfte zu den Polykrisen der Gegenwart entwickeln. Einige Vorhaben zu „Bruch III“ aus der politischen Medienbildung, radikalen Demokratiebildung und „spekulativen“ Forschung werden besprochen. Diese zielen darauf ab, eine andere (gerechte, plurale, enkeltaugliche) Welt vorstellbar zu machen. Es bleibt eine empirische Frage, ob diese demokratischen Ziele mit digitalen Medien angesichts ihrer cyberlibertären Technogenese erreicht werden können, oder ob gerade in dieser Differenz der eigentliche Bruch im Feld der digitalen Bildung liegt. Ethnografische Forschung deutet auf ein komplexes Verhältnis zwischen Cyberlibertarismus und Demokratiebestrebungen in Schule und Unterricht hin. Der Vortrag schließt mit Fragen zur Rolle der Erziehungswissenschaft angesichts dieser „Brüche“ in der digital vernetzten Welt.

Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg